Die jüdische Gemeinde Mattersburg

Von Mattersburg nach Kirjat Mattersdorf

  Video: Michael Feyer über die Synagoge
  Video: Michael Feyer über den jüdischen Friedhof

1. Wohnhaus und Arztpraxis Familie Berczeller
2. Baumaterialiengeschäft Heinrich Schotten
3. Textilhandlung Familie Brandl
4. Lederwarenhandlung Isidor Deutsch
5. Familie Schön
6. Gedenkstätte und Gedenkstein (zum Video)
7. Druckerei Kohn, im OG Räumlichkeiten des Talmudvereins
8. Jüdischer Friedhof (zum Video)

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Obgleich einzelne Juden schon früher in Mattersburg (bis 1924 Mattersdorf) nachweisbar sind, fällt die Gemeindegründung erst in das Jahr 1527. Damals fanden aus Sopron (Ödenburg) vertriebene Jüdinnen und Juden in Mattersburg Zuflucht. Eine Sage schreibt die Gründung der Gemeinde sechs spanischen Familien am Ende des 15. Jahrhunderts zu. Angehörige der Familie Schischa (hebr.„sechs“), die sich als Nachkommen der sephardischen Flüchtlinge sahen, lebten bis 1938 in Mattersburg und sind heute in aller Welt verstreut.
Nach Jahrzehnten eines Wechsels von Vertreibung und Wiederansiedlung, war seit der Grundherrschaft der Esterházys ein nahezu kontinuierliches Bestehen der Gemeinde gewährleistet. Zwar wurde 1671 unter Kaiser Leopold I. die jüdische Bevölkerung auch aus Mattersburg ausgewiesen, doch vier Jahre später wurden die Gemeinde wiedererrichtet. Die Jüdinnen und Juden in Mattersburg waren, so wie in den anderen sechs Gemeinden im heutigen Nord- und Mittelburgenland, „Schutzjuden“ der Esterházys.
Die Zahl der jüdischen Bevölkerung nahm in Mattersburg seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig ab: Wurden 1883 noch 700 Jüdinnen und Juden gezählt, waren es im Jahr 1934 nur noch 511.
Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wurden die jüdischen Familien aus Mattersburg vertrieben. Von den über 500 hier im Jahr 1938 lebenden Jüdinnen und Juden überlebten etwa 400 die Shoah. Bis heute ist nicht bekannt, was mit den Grabsteinen des Friedhofs geschah. Wahrscheinlich dienten sie dem Bau von Mauern, Straßen und Häusern. Heute findet man auf dem jüdischen Friedhof einige wenige in eine Mauer eingesetzte Originalgrabsteine sowie 150 symbolische Grabsteine.
Der letzte Rabbiner von Mattersburg, Oberrabbiner Samuel Ehrenfeld, 1931 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich geehrt, gründete in Jerusalem den Ortsteil Kirjat Mattersdorf, wo bis heute ehemalige burgenländische Jüdinnen und Juden und ihre Nachfahren leben.
Neben der wissenschaftlichen Arbeit an der Rekonstruktion der Grabsteininschriften durch das Österreichische Jüdische Museum Eisenstadt, setzt der Verein „wir erinnern“ in Mattersburg Initiativen zum Gedenken an die vertriebenen jüdischen Familien von Mattersburg.

Kurze Beschreibung des Rundganges

Der Rundgang beginnt am Hauptplatz Nr. 2, dem Wohnhaus und der Arztpraxis von Richard Berczeller. In zahlreichen Publikationen wurde das Leben der Familie veröffentlicht. In der Gustav-Degen-Gasse befanden sich auf Nr. 9 das Baumaterialiengeschäft von Heinrich Schotten, die Textilhandlung der Familie Brandl auf Nr. 17 und auf Nr. 23 die Lederwarenhandlung von Isidor Deutsch. Gegenüber auf der Bahnstraße Nr. 2 war die Kurzwarenhandlung der Familie Schön. Am Brunnenplatz wurde im November 2017 die „Gedenkstätte zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde Mattersdorf - Mattersburg“ errichtet. Wir gehen nun die Judengasse weiter und kommen zur Michael-Koch-Straße 41, wo sich die Druckerei Kohn befand. Im Obergeschoß befanden sich Räumlichkeiten des Mattersburger Talmudvereins. Heute ist ein Café in dem Haus, auch das Obergeschoss kann besichtigt werden. Von hier geht man wieder zurück zum Brunnenplatz und kann sich im Rathaus den Schlüssel zum Tor des jüdischen Friedhofs ausleihen. Zwischen der Wohnhausanlage die Wehrgasse folgend, gelangt man zur Wedekindgasse, wo zur rechten Hand der Eingang zum jüdischen Friedhof liegt. Hier findet man symbolisch aufgestellte Steine. Die wenigen erhaltenen Grabsteinfragmente wurden als Erinnerungswand an einer der Friedhofsmauern angebracht. Interviews und Erinnerungen an Mattersburg von Leopold Redlinger, Josef Weiszberger, den Geschwistern Arlen und Marion Fischer aus Bad Sauerbrunnfinden sich am Videokanal „Vertrieben“.

Entlehnung des Schlüssels zum jüdischen Friedhof: Beim Polizei-Posten oder im Rathaus | +43 (0) 2626 62332
Videokanal „Vertrieben“: Interview Josef Weiszberger, Interview Leopold Redlinger, Geschwister Arlen, Marion Fischer
Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Mattersburg: publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_245009.pdf



Tipps:
Das 70’er Haus. Kleines Museum mit Ausstellungen und Veranstaltungen unter anderem zur jüdischen Geschichte.
7210 Mattersburg, Hintergasse 70 | Tel. +43 (0)2626 64822 | office@70haus.at | www.70haus.at | SA und SO 15 bis 18 Uhr. Außerhalb der Öffnungszeiten nach telefonischer Voranmeldung unter +43 (0)699 13691774 oder +43 (0)676 7102666.

Besuch der Gedächtnisstätte in Pöttsching (12 km von Mattersburg). Die Gedächtnisstätte ist die Station 7 des Kultur-Informationssystems Pöttsching.
Infotext auch für Kinder unter der Telefonnummer 01 3053061-07. Webseite: www.poettsching.at

Besuch von Bad Sauerbrunn (9 km von Mattersburg) und der Ausstellung im Untergeschoss der „Genussquelle Rosalia“. Unter anderem zur jüdischen Geschichte des Kurortes.
Genussquelle Rosalia | 7202 Bad Sauerbrunn | Schulstraße 14 | Tel. +43 (0) 2625 20270
Der jüdische Friedhof liegt in der Eisenstädterstraße.

Der Verein „Wir erinnern – Begegnung mit dem jüdischen Mattersburg“

Der im März 2013 gegründete Verein entstand aus der Idee, die jüdische Vergangenheit von Mattersburg nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Gemeinsam mit KR Michael Feyer wurde im November 2017 die Errichtung der Gedenkstätte am Brunnenplatz realisiert. Mit Veranstaltungen und Projekten erinnert „Wir erinnern – Begegnung mit dem jüdischen Mattersburg“ an die jüdische Bevölkerung von Mattersburg.

Kontakt:
E-Mail: info@wir-erinnern.at
Webseite: www.wir-erinnern.at

Publikationen in Auswahl

[1] Berczeller, Richard: Die sieben Leben des Dr. B. München 1965.
[2] Berczeller, Richard/Leser, Norbert: „… mit Österreich verbunden“. Burgenlandschicksal 1918- 1945. Wien/München 1975.
[3] Berczeller, Richard: Verweht. Eisenstadt/Wien 1983.
[4] Berczeller, Richard: „Ich bin ein Burgenländer“. In: Deinhofer, Elisabeth/Horvath, Traude (Hg.): Grenzfall. Burgenland 1921-1991. Eisenstadt 1991, S. 61-64.
[5] Grunwald, Max: Sephires Hooimer! – Zur jüdischen Volkskultur von Mattersdorf/Nagy Marton. In: Riedl, Joachim (Hg.): „Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!“ Festschrift zum 90. Geburtstag von Richard Berczeller. (= Zeitzeugnisse, Bd. 1). Wien/ St. Johann im Pongau 1992, S. 51-86.
[6] Hirsch, Samuel: Nachdem wie gewöhnlich der erste Prügelknabe der Jude ist. Aus dem Tagebuch der Vertreibung. In: Riedl, Joachim (Hg.): „Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!“ Festschrift zum 90. Geburtstag von Richard Berczeller. (= Zeitzeugnisse, Bd. 1). Wien/St. Johann im Pongau 1992, S. 145-167.
[7] Hodik, Fritz P.: Beiträge zur Geschichte der Mattersdorfer Judengemeinde im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (= Burgenländische Forschungen, Heft 65). Eisenstadt 1975.
[8] Horvath, Traude/Snowdon-Prötsch, Milenia: Richard Berczeller 1902-1994. Mattersburg 1996.
[9] Lang, Alfred / Tobler, Barbara / Tschögl, Gert (Hg.): Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden und Jüdinnen. Wien 2004.
[10] Magnus, Naama G.: Auf verwehten Spuren. Das jüdische Erbe im Burgenland. Teil 1 Nord- und Mittelburgenland. Wien 2013.
[11] Martischnig, Michael: „Perhaps One Could Not Rely On Outside Help. „. Die ehemalige jüdische Gemeinde von Mattersdorf/Nagy Marton/Mattersburg und ihr Feuerwehrverein. In: Riedl, Joachim (Hg.): „Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!“ Festschrift zum 90. Geburtstag von Richard Berczeller. (= Zeitzeugnisse, Bd. 1). Wien/St. Johann im Pongau 1992, S. 87-119.
[12] Martischnig, Michael: Jüdische Händlerfamilien in Mattersdorf/Mattersburg und ihr Verkaufsrepertoire in Produktkatalogen der Zwischenkriegszeit. In: Bibliothekar und Forscher. Festschrift für Norbert Frank. (= Burgenländische Forschungen, Sonderband XXV). Eisenstadt 2003, S. 99- 154.
[13] Müller, Jana: Leopold Redlinger. Von Mattersburg über die Slowakei unter Tiso bis Ebensee. In: Betrifft Widerstand. Zeitschrift des Vereins Widerstands Museum Ebensee. Nr. 46, November 1999, S. 12-21.
[14] Reiss, Johannes (Hg.): Aus den Sieben Gemeinden. Ein Lesebuch über Juden im Burgenland. Eisenstadt [1997].
[15] Riedl, Joachim (Hg.): „Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!“ Festschrift zum 90. Geburtstag von Richard Berczeller. (= Zeitzeugnisse, Bd. 1). Wien/St. Johann im Pongau 1992.
[16] Riedl, Joachim: N’est pas mal! – Richard Berczeller, ein verlorenes Zeitalter und wie das Sanfte Gesetz die Vertreibung besiegen konnte. In: Riedl, Joachim (Hg.): „Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!“ Festschrift zum 90. Geburtstag von Richard Berczeller. (= Zeitzeugnisse, Bd. 1). Wien/St. Johann im Pongau 1992, S. 17-25.
[17] Schmid, Veronika: Virtuelle Rekonstruktion der ehemaligen Synagoge in Mattersburg (Nagymarton; Mattersdorf). Dipl. Arbeit an der Technischen Universität Wien. Wien 2016. Publikation Online
[18] Sommer, Robert: Spurensuche in Bad Sauerbrunn. Die jüdischen Wurzeln des Ortes zwischen den Zeiten. In: Gemeinde Bad Sauerbrunn (Hg): Bad Sauerbrunn. Ortschronik in drei Teilen. Bad Sauerbrunn [1999], S. 243-318.
[19] Tometich, Gertraud: Als im Burgenland noch das Schofarhorn ertönte. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Mattersburg und Umgebung. Marz 2013.
Alle Interviews: KR Michael Feyer, 2020.
Kamera und Ton: Justin Ramon Kodnar
Schnitt: Justin Ramon Kodnar, Michael Schreiber
Website Gestaltung und Betreuung: Gert Tschögl

Die Videos wurden von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft im Rahmen der Europäischen Tage der Jüdischen Kultur 2020 produziert.
Medienkooperation: noviglas.online | Hrvatski akademski klub – HAK – Kroatischer akademischer Klub
In Kooperation mit: Wir erinnern